Der Vision Zero Staus, Zero Unfälle näher kommen
Grüne Welle, keine Staus. Das Dorado aller Autofahrer. Gleichzeitig der Optimalfall für unfallfreies Fahren, weniger Emissionen und weniger Partikel durch Reifenabrieb. Damit solche Szenarien keine Schimäre bleiben, entwickeln IT Spezialisten wie Fujitsu und PTV GmbH ausgefeilte Programme, die sich KI und Quanten-Computing zunutze machen.
Was ist vonnöten, damit die Verkehrssteuerung zukünftig noch besser gelingt? Und was braucht es möglicherweise, wenn der Verkehr zu einem erheblichen Teil autonom oder zumindest automatisiert auf Level 3 abläuft? Solche Fragen stellen sich IT Unternehmen weltweit. Mit zwei von ihnen, mit PTV GmbH und Fujitsu Deutschland haben wir gesprochen.
Die Kommunikation von Fahrzeug zu Fahrzeug (V2V), von Fahrzeug zu Infrastruktur (V2I) und Fahrzeug zu allem (V2X) ist Realität und wird stetig verbessert. Dabei im Einsatz: Künstliche Intelligenz (KI) und Quanten-Computing – und heiß ersehnt: der Quantencomputer.
Prognosen statt Echtzeitsteuerung
Der Stand der Technik beim Verkehrsfluss nennt sich zwar Echtzeitsteuerung. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, weil die Rechenleistung herkömmlicher Rechner nicht ausreicht, um den Verkehrsfluss in Echtzeit zu erfassen. Der Verkehr ist somit nicht in tatsächlicher Echtzeit steuerbar, sondern basiert auf Prognosen, die zig-fach gemessen und eingespeist wurden und meist auch zutreffen.
Die in Karlsruhe ansässige international aktive PTV Group, einst von der Porsche Automobil Holding SE aufgekauft, verfolgt diesen Pfad sehr erfolgreich. Für seine Prognosen hat das IT Unternehmen eine Unmenge an sehr guten Modellen, die exakte Prognosen ermöglichen. Wenn sich Modell und Wirklichkeit decken, ist es zu 100 Prozent ein Erfolg. Wenn irgendetwas passiert, das im Modell für diesen Zeitpunkt so nicht vorgesehen ist, stimmt die Prognose jedoch nicht mehr. Statistisch sind die Modelle ausreichend, sie können aber niemals für alle Eventualitäten gewappnet sein.
Mit KI arbeiten alle diese Unternehmen an verschiedenen Stellen mit Hochdruck. Bei PTV Group zum Beispiel „um die geografische Verteilung der Verkehrsnachfrage zu erkennen und rekonstruieren, oder um das Verkehrsmittel über GPS-Daten oder Trajektorien zu erkennen“, berichtet CEO Christian U. Haas. Die üblichen standortbezogenen Daten, wie sie Handys und Navigationsgeräte liefern, informieren zwar, dass sich Menschen von A nach B bewegt haben, das Wie aber bleibt unbeantwortet. Für PTV Group ist gerade diese Information wichtig für die Modelle. Um das Mobilitätsverhalten mit besseren Datensätzen darstellen zu können, benutzen die IT-Entwickler KI-Klassifizierungsmethoden. Die Mustererkennung, so Sascha Westermann, Thought Leader Transport & Mobility in der Digital Transformation Unit (DXU) bei Fujitsu, „ist ein Teil der Lösung, die nachher Dinge validiert.“
Hinzu kommen Maschinelles Lernen (ML) und Big-Data-Quellen. In der Summe nimmt so die Zeit fürs Berechnen nicht nur enorm ab, sondern es führt auch kontinuierlich zu qualitativ besseren und schnelleren Abläufen. PTV Group nutzt die Algorithmen zur Prognose und um die Genauigkeit des jeweiligen Verkehrsmodells zu verbessern. „Unsere Software Optima ermöglicht detaillierte Prognosen bis zu einer Stunde im Voraus“, so Haas. Statt die Verkehrsstärke statisch zu prognostizieren, kann das ML System das historische Verkehrsmuster analysieren und mit aktuellen Verkehrsbedingungen abgleichen. Enorm wichtig ist ML zudem bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge – Stichwort Steuerungsalgorithmen.
Prototyp Nürburgring für Computer Vision
Will man genauer anschauen, wie es zu einer bestimmten Situation gekommen ist, könnte man, so lautet die These von Sascha Westermann, „daraus nicht nur schließen, dass etwas, sondern eventuell auch, was passiert ist.“ Wenn das gelingt, könne man zukünftig mit einer minimalen Anzahl an Kameras und damit deutlich kostengünstiger als bisher ein flächendeckendes Bild gewinnen.
Diese Computer Vision oder Schnellbilderkennung ist eine recht neue Technologie. Auf sie setzt der Nürburgring, dessen 21 Kilometer lange Nordschleife bis 2025 mit 150 Kameras bestückt sein wird. In diesem prototypischen Anwendungsfall liegt das Augenmerk auf Sicherheit – ein digitales Sicherheitssystem wird Gefahren, Unfälle oder sonstige außerplanmäßige Ereignisse auf der Strecke erkennen, damit umgehend eingegriffen werden kann. Ein weiteres Beispiel dafür, wie neben der Entwicklung von Automobilen der Rennsport dem Verkehr auf der Straße von Anbeginn der motorisierten Mobilität zunutze kommen kann.
Seitdem Herbert Linge (94) in den 1970er Jahren dafür sorgte, dass die Sicherheit der Rennstrecken stark zunahm, ging die Entwicklung in diese Richtung immer weiter. Der Sicherheitspapst des Rennsports war seinerzeit Gründer der Rettungsstaffel, ehemaliger Porsche-Testfahrer und gab den Anstoß dafür, dass Porsche in Weissach im Heckengäu mit seiner Forschungsabteilung Quartier bezog und sich seither kontinuierlich ausdehnt. Erweiterte Auslaufzonen folgten alsbald und jetzt vollzieht sich ein Meilenschritt in Richtung Streckensicherheit durch die Kooperation des Nürburgrings mit Fujitsu. Elf Millionen Euro kostet dieses Bauprojekt und ist damit eines der größten in der Geschichte des „Rings“.
Zum hundertsten Geburtstag der anspruchsvollsten Rennstrecke der Welt und zur Saison 2025 soll die ‚kameraverminte‘ neue Infrastruktur auf Basis künstlicher Intelligenz rund um die Nordschleife im Einsatz sein. Und damit eines der weltweit umfangreichsten Rennstrecken-Sicherheitssysteme. Neben den zwei Jahre dauernden baulichen Maßnahmen wird die KI im Livebetrieb ständig weiterentwickelt und auf die Eigenheiten der Norschleife angepasst.
Im städtisches Straßennetz ist so etwas nur punktuell, wie an gefährlichen Kreuzungssituationen, sinnvoll. Flächendeckend wird es dann interessant, wenn die intelligente Mustererkennung gelingt.
Doch zurück zum Alltag auf deutschen Straßen. Wie den Verkehr noch effizienter steuern, flüssig und CO2-arm? „Beim Steuern im automatisierten Verkehrsgeschehen hilft der von uns entwickelte Digital Annealer“, sagt Westermann. „Digital Annealer“ heißt die von Fujitsu entwickelte quanteninspirierte Technologie. Diese Technologie könne kombinatorische Optimierungsprobleme sofort lösen. Man brauche sie immer dann, wenn es große Datenmengen zu verarbeiten gilt. Das digitale Schaltungsdesign könne Probleme lösen, die für klassische Computer schwierig und deutlich zeitaufwendiger seien. „Für drei, vier oder mehr Ampeln braucht es keinen Digital Annealer. Will man aber eine ganze Stadt mit sehr großen Verkehrsmengen in Echtzeit managen, geht dies nicht ohne Digital Annealer.“
Da heutzutage alle modernen Autos permanent Signale senden und so unter anderem anonymisierte Floating Car Data (FCD) senden, wissen Google, TomTom und andere Navigationssysteme, wie der Verkehrsfluss ist. In diesen Datensätzen lassen sich Muster erkennen. Die kann der Digital Annealer sofort optimieren und zum Beispiel entsprechende Ampelschaltungen vorgeben oder exakte Meldungen samt Prognosen verbreiten.
Digital Annealing ist letztlich eine Vorstufe zum Quantencomputing.
Der dringend ersehnte Quantencomputer, der aber frühestens 2025 mit 4.000 Qubits verfügbar sein soll, kann bei komplexen Parallelberechnungen noch einmal deutlich mehr. Um absolute Echtzeit abbilden zu können, braucht es neben Quantencomputing die dazu gehörigen Quantencomputer, die die Datenmassen tatsächlich in Echtzeit verarbeiten können.
Will man für alle Möglichkeiten gewappnet sein, kommt man um die Quantentechnologie nicht herum. Deshalb gelten Quantencomputer als Game Changer. Sie sind die Voraussetzung für autonomes Fahren (Level 5). Diese Superhirne können komplexe logistische Systeme, wie Verkehrsnetze es sind, optimieren.
Doch auch jetzt ist schon vieles möglich. Bereits heute sagt Fujitsu von sich, dass durch Digital Annealing unterstützte Verkehrsmanagementsysteme den Verkehr so steuern können, dass Rettungsfahrzeuge, Busse und andere priorisiert und möglichst schnell von A nach B gelotst werden können.
Letztendlich aber ist der Quantencomputer der Weg in die Zukunft. Er kann eine staufreie, unfallfreie und ökologisch nachhaltige Mobilität von der Vision in die Wirklichkeit überführen. Wann genau dieser Zeitpunkt erreicht sein wird, bleibt bis dato Spekulation.
Das viel beschworene Metaversum, das digitale Universum neben unserem physischen, wird zukünftig noch spannender werden. Die Verknüpfung der physischen und der digitalen Welt wird neue Erfahrungen ermöglichen, eben auch bei der Verkehrsplanung und der Gestaltung des Ökosystems Mobilität. Kurzum: Bringt man Verkehrs- und Umweltdaten zusammen, hat man am Ende ein sehr gutes System, das sich mittels entsprechender Verkehrsmanagementmaßnahmen clever steuern lässt.
Text und Fotos: Dr. Susanne Roeder