Was sehen Abbiege-Assistenten?

Argusaugen für Transporter

Von Dr. Susanne Roeder
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Sicherheitssysteme am Automobil können lebensrettend sein. Das gilt auch für den Abbiegeassistenten. Der muss so programmiert sein, dass seine Software im bisweilen engen und unübersichtlichen Stadtbetrieb nicht unaufhörliches Piepen oder andere Warnsignale auslöst.

Erst kürzlich kam ein sehr betagter Fußgänger zu Tode, weil ein Transporter ihn in einer kleinen Straße mit seinem Außenspiegel zu Fall brachte – ihn vielleicht übersah oder den Abstand zur Person falsch einschätzte.

Hätte ein gängiger Abbiegeassistent diesen Unfall verhindern können? Dessen Software ist zunächst auf Fahrradfahrer ausgelegt, soll diese erkennen und auf sie hinweisen. Dafür ist in der Software eine gewisse Geschwindigkeit hinterlegt. Das System erkennt sich bewegende Gegenstände und deren Richtung, also den parallel fahrenden Radfahrer. Wenn ein Lieferwagen, der mit diesem System ausgerüstet ist, nach rechts abbiegen will, wird der Fahrer gewarnt und auf den Radfahrer hingewiesen.

Cave ‚rasende Transporter’ !

Ein Fußgänger wird nur erkannt, wenn er schnell unterwegs ist, joggt oder rennt. Für diese offenbar nachlässige Programmierung gibt es einen unmittelbar nachvollziehbaren Grund: Im Gedränge einer Stadt würde sonst jeder statische Poller, Blumenkasten oder ähnliches ein Warnsignal auslösen. Und ein Dauerwarnsignal ist nicht gewollt.

Im Übrigen heißen die elektronischen Helfer ganz bewusst Assistenzsysteme, weil sie den Fahrer unterstützen und nicht ersetzen sollen. Schulterblick und umsichtiges Abbiegen seitens der Fahrer werden vorausgesetzt – zumindest solange es kein vollautonomes Fahren gibt. Nimmt ein Fahrer die Kurve in eine Seitenstraße allerdings zu knapp, erfasst er stehende Objekte oder Hausecken trotz Assistenzsystemen an Bord. Das passiert bei Lieferwagen bis 3,5 Tonnen immer mal wieder, allerdings in der Regel ohne Personenschaden.

„Ein Abbiegeassistent ist nur dann gut, wenn er möglichst wenig Fehlwarnungen auslöst“, sagt auch folgerichtig Siegfried Brockmann, Leiter Unfallforschung der Versicherer, UDV. Wie gut dieses digitale Hilfsmittel sei, liege an der jeweiligen Software und wie sie kalibriert sei. Der Unfallexperte erklärt: „Unsere eigenen Datenquellen und die der Polizei zeigen allerdings kein auffälliges Unfallszenario mit Radfahrern oder Fußgängern, die speziell von Kleintransportern verursacht werden.“ Insofern gebe es keine Tendenz, wonach der Abbiegeassistent dort serienmäßig kommen müsse. Dennoch sei der Abbiegeassistent gerade in punkto Radfahrer für alle Fahrzeugkategorien grundsätzlich ein sehr sinnvolles Instrument.

Bei einem so gängigen Van wie dem Mercedes-Benz Sprinter, den es auch in Langversion gibt, konzentriert sich der Hersteller deshalb seit vielen Jahren auf Sicherheitssysteme fürs Parken und Rangieren sowie Assistenzsysteme für dynamische Fahrsituationen.

Für den Schwerlastverkehr über 3.5 Tonnen (Busse, Lkw) dagegen ist der Abbiegeassistent ab 2024 europaweit bei Neuzulassungen Pflicht. Das ist nachvollziehbar, weil der Fahrer so hoch sitzt und das Fahrerhaus seine Sicht so stark blockiert, dass diese beim Rechtsabbiegen besonders stark eingeschränkt ist.

Blick über die Schulter beim Rangieren unabdinglich

Dieses Handikap der starken Sichtbehinderung haben Fahrer von Transportern wie den im Privatgewerbe häufig gefahrenen Fiat Ducato, Citroën Berlingo, Mercedes-Benz Sprinter, Opel Combo, Peugeot Rifter oder Toyota Proace City nicht. Und gerade im gewerblichen Bereich wird bei Transportern der Kategorie N1 verstärkt auf die Kosten geachtet. Der Abbiegeassistent gehört bei diesem Fahrzeugsegment nicht zur Serienausstattung.

Entsprechend äußert sich auch Turin zu seinen Fiat Modellen: „Abbiege-Assistenten sind bei leichten Nutzfahrzeugen (N1) nicht zwingend erforderlich, da hier Sitzposition und Fahrzeugabmessungen völlig anders sind als bei schweren LKW“.

Fiat Professional und Ducato, so der Hersteller weiter, „verfügen schon über eine ganze Reihe von Fahrerassistenzsystemen“. Beim Professional reicht das „von der Geschwindigkeitsbegrenzung und einem automatischen Bremsassistenten bei vom Fahrer nicht oder zu spät bemerkten Fußgängern und Radfahrern vor dem Fahrzeug, bis hin zum autonomen Fahren Level 2.“ Der Ducato wiederum kann „mit dem Totwinkel-Assistenten inklusive Anhängererkennung zur Überwachung des toten Winkels ausgestattet werden. Ebenfalls lieferbar ist eine radargestützte hintere Querbewegungserkennung, die beim Rückwärtsfahren den Fahrer bei herannahenden Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern, Radfahrern und Fahrzeugen akustisch warnt.“

So selbstverständlich in alle Fahrzeugklassen integriert wie das elektronische Stabilitätsprogramm ESP ist der Abbiegeassistent also noch lange nicht. Doch auch er kann jenseits von stehenden Fußgängern viele Unfälle verhindern oder lindern. Bislang hat laut Brockmann kein System so hohe Prozentsätze in Unfallreduzierung erzielt wie das ESP.

Die Frage speziell der in Verruf gekommenen ’rasenden Transporter’ werde übrigens weder in Deutschland noch in Brüssel gelöst, so Unfallforscher Brockmann. Wenn deren Unfallhäufigkeit als Problem eingestuft werde, dann sei es Aufgabe der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (UNECE) in Genf, eine paneuropäische Lösung zu finden.