Welcher Typ sind Sie?
Bosch starker Verfechter der Technologieoffenheit, damit alle unterwegs sein können
Wie besessen arbeiten Hersteller wie Zulieferer daran, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen auf der ganzen Welt zu lösen – mit dem Ziel der Nachhaltigkeit, der CO2 Neutralität und der emissionsfreien Mobilität. Dass das nicht von jetzt auf gleich geht und auch wegen der höchst ambitionierten Zahlen alles andere als leicht zu erreichen ist, darüber herrschte beim 22. FKFS Symposium in Stuttgart mit diesmal über 500 internationalen Teilnehmern allgemeine Einigkeit.
So oder so werde die die Transformation der Mobilität, mehr noch deren Umbruch, sehr viel kosten. Genauso einig war man sich auf dem zweitägigen Expertenaustausch des Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart, dass die Lösungen für sämtliche Mobilitätsvarianten technisch machbar seien. Konsens bestand deshalb ferner darin, dass es zumindest deutlich mehr Antriebsarten geben werde – mittelfristig nicht mehr bloß den Verbrenner. Aber eben auch nicht nur reine Elektromobilität, sondern daneben Wasserstoffmobilität über Verbrenner oder Brennstoffzellen und Hybridfahrzeuge.
Die Frage sei vor allem, welche Rahmenbedingungen die Politik setze – da liege eine erhebliche Unbekannte. Synthetische Kraftstoffe sind, so der Tenor, bisher politisch wenig gewollt und ebenso wenig gefördert. Insgesamt aber war Diversifikation der Antriebsformen ein durchgängiges Mantra.
Keine Rundumlösungen sinnvol
Mit einer Rundumlösung werde man weder Stuttgart noch die Welt beglücken oder mobil halten können, ist sich Thomas Pauer von Bosch Powertrain Solutions sicher. Die Lösungen für eine zukunftsorientierte Mobilität verdeutlichte er an sechs typischen Stuttgarter Fallbeispielen, die sehr unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse abbilden.
Krankenschwester Anna besucht auf einem Radius von wenigen Kilometern durchschnittlich 15 Patienten pro Tag bis zu ihrem Schichtwechsel am frühen Nachmittag. Bosch Ingenieurin Roberta liebt schnelle Autos und pendelt täglich rund 50 Kilometer wegen ihres Arbeitsplatzes. Kurierdienstfahrer Nico startet seine Auslieferdienste um 5.00 Uhr in der Früh und bedient den verkehrsüberladenen Stuttgarter Osten so schnell wie möglich. Nach dem letzten Päckchen kann er nach Hause. Lkw-Fahrerin Manu wiederum transportiert regelmäßig Stuttgarter Hofbräu von der hiesigen Brauerei zum Hamburger Hafen für den Export. Farmer Bauer baut Weißkohl auf den Fildern an. Sein Traktor ist im Schichtbetrieb rund 12 Stunden am Tag unterwegs – unter Volllast. Omar schließlich ist Maultaschen-Verkäufer – in Norddeutschland, doch seine Familie lebt im Stuttgarter Großraum. Somit fährt er als Vertreter durchschnittlich 500 Kilometer in den Norden. „All diese Fallbeispiele müssen wir mit der Mobilität der Zukunft am Leben erhalten“, fordert der Bosch Ingenieur und sieht darin eine knifflige, aber lösbare Aufgabe für die Automobilindustrie.
Mobilität im Hier und Jetzt, aber auch im Übermorgen
Wie sind diese Personen mit ihren höchst unterschiedlichen Bedarfen zukünftig unterwegs? Roberta und Anna fahren heute „noch“ einen modernen Benziner. „Wir müssen diese Benziner weiterentwickeln“, lautet bei Bosch die Schlussfolgerung im Sinne der Endkunden. Für alle, die in den nächsten Jahren noch keine Elektromobilität einsetzen können oder wollen, habe der weltweit größte und sehr breit aufgestellte Zulieferer Lösungen parat. Auch wenn man die genauen Euro 7 Spezifikationen noch nicht kenne, die zu erfüllen sein werden, so reiche das hausinterne Portfolio an Komponenten mit Sicherheit aus.
Die Aufzählung des Experten dessen, was alles noch möglich ist, zeigt, wie sehr der Verbrenner weiter verbessert werden kann. Langfristig sieht er die beiden Frauen mit ihren Fahrbedürfnissen dennoch als Umsteigerinnen auf batterieelektrische Fahrzeuge (BEV). Auch dafür habe man die entsprechenden Komponenten parat.
Nico mit seinem modernen Diesel könne diesen weiterhin fahren, denn auch hier gibt es eine Euro 7 Lösung mit weiter verbesserter Einspritztechnik neben gleichzeitigem Vorantreiben des Turboladens beim Diesel. Nicos Zukunft könne vielleicht im Wasserstoffverbrenner liegen. An dieser Antriebsart arbeitet auch Mahle, der zweite große Stuttgarter Zulieferer, mit seinen Komponenten. Der Wasserstoffmotor zeichne sich durch „nahezu keine Emissionen“ aus. Zudem ist er CO2-frei, weil im Wasserstoff keine C-Atome vorliegen. Mit dem Wasserstoffmotor, den Bosch en Detail untersucht und erforscht habe, „haben wir hervorragende Ergebnisse erzielt“. Für Nicos Transportberuf passt der Wasserstoffmotor so gut, weil er bei guter Reichweite sehr schnell betankt werden kann und in punkto Kosten äußerst wirtschaftlich ist. Für diese Mobilitätsform müsse man das Verbrennungsverfahren komplett neu entwickeln, womit sich Bosch derzeit auch intensiv beschäftige. Das Stuttgarter Unternehmen sieht große Chancen im Wasserstoffmotor, hat diverse Projekte am Start.
Omar mit seinen weiten Strecken schwört auf den Diesel mit mehr als 1000 Kilometer Reichweite. Auch dieser Diesel kann Euro 7 konform weiterentwickelt werden (Stichwort Einspritzung und Abgasnachbehandlung). Die längerfristige Zukunft des Vertreters sieht Pauer potenziell in einem Diesel mit synthetischen Kraftstoffen. Schließlich will der Handlungsreisende weiterhin schnell tanken und die große Reichweite, die bei synthetischen Kraftstoffen der von konventionellen Kraftstoffen entspricht. Alternativ könnte er sich für einen Plug-in Hybrid (PHEV) entscheiden, insbesondere wenn er auf Einfahrtbeschränkungen in bestimmten Städten reagieren muss. Langfristig könne man Omar sogar von einem BEV überzeugen, meint Pauer.
Traktor als BEV? Ein No-Go
Vom Traktor allerdings führt kein Weg zur batterieelektrischen Lösung. „Allein das Gewicht der Batterie würde dazu führen, dass wir eine Verdichtung auf dem Feld hätten, so dass letztlich kein Wachstum mehr möglich wäre.“ Omar könnte zukünftig entweder auf einen Diesel mit synthetischen Kraftstoffen ausweichen. Genauso aber könnte er optimal und ohne jegliche Einschränkungen auf einen Wasserstoffverbrenner für seinen Traktor ausweichen. Das Interesse an einem solchen Antrieb sei groß, weil er eine sehr hohe Volllast ermöglicht, berichtet der Bosch-Mann. Außerdem habe der Wasserstoffmotor bei Volllast einen etwas besseren Wirkungsgrad als eine Brennstoffzelle.
Der Longhaul Truck von Manu mit ihrer täglichen Route Stuttgart-Hamburg könnte, sofern ein Diesel nicht mehr erwünscht sein wird, künftig als Brennstoffzellen-Lkw unterwegs sein. Sehr schnelles Tanken, große Reichweite und ausreichend Tankstellen sind dafür schon da. Dieses Antriebssystem braucht ebenfalls viele Komponenten. Auch sie hat der Zulieferer im Portfolio. „Hier bauen wir bis zu 1500 Teile zusammen.“
Pauer fährt fort: „Mit unserem Brennstoffzellenantrieb laufen reale Projekte. So sind in China bereits über 70 Nutzfahrzeuge auf öffentlichen Straßen unterwegs – ohne Probleme. Während der Winterolympiade haben sie die Athleten mit Lebensmitteln versorgt.“ In Amerika ist Bosch mit seinen Twin-Stacks, zwei in Reihe geschalteten Modulen für mehr Leistung in Nikola Trucks unterwegs. Dem Test im realen Einsatz sollen im Jahr 2023 noch „sehr viel mehr Fahrzeuge“ folgen.
Natürlich, so Pauers Fazit, decke das BEV sehr viele Mobilitätsbedürfnisse ab, aber eben – beileibe möchte man ergänzen – nicht alle. „Wir sehen bei keinem der vorgestellten Mobilitätslösungen das Problem, dass es keine technische Lösung geben würde.“ Mit all diesen Angeboten werde es gelingen, die Mobilität so zu gestalten, dass sie im Einklang sei mit den gewünschten Klimabedingungen. Welche der genannten technischen Lösungen sich allerdings durchsetzen, bestimmen der Markt und nicht zuletzt die Politik...
Fotos: FKFS